Wir haben doch schon ein Selbstbestimmungsrecht
Die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung von "Orientierungszeiten" für Erwachsene ist obsolet, da grundrechtlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Bürger abgedeckt. Jedem Erwachsenen steht es frei, seine Zeit wofür auch immer zu nutzen. Auch für Orientierungszeiten. Allerdings will mir nicht ganz einleuchten, warum die Allgemeinheit diese Zeiten der Selbstfindung finanzieren sollte. Auch gegenüber den zielstrebigen Erwerbstätigen dieser Altersgruppe wäre das "pampern" der Plan- und Orientierungslosen, Unentschlossenen nur schwer zu vermitteln. Es kann nicht Aufgabe des Staates (der Steuerzahler) sein, für diesen Personenkreis die Nanny zu spielen. Diese Kosten der privaten Lebensführung gehen den Staat nichts an. Wir stehen hier vor einem Problem der satten Wohlstandsgesellschaft, die sich angesichts der riesigen anstehenden Herausforderungen vom Klimawandel bis Landesverteidigung dramatisch verändern wird. Die Frage nach der Work-Life-Balance und 4-Tagewoche wird ersetzt werden von der Frage, ob das Geld noch für die Miete reicht. Diese Priorisierung wird Orientierung geben - ganz kostenlos.
Ich lese den Text so, dass ein gesetzlicher Rahmen für Orientierungszeiten gefordert wird. Einen solchen Rahmen gibt es zum Beispiel für die Freiwilligendienste auch, und daraus erwachsen dann gesellschaftliche, politische und finanzielle Unterstützung. Diese Forderung ist doch erstmal völlig legitim, sie hat auch garnichts mit "pampern" oder " Nanny spielen" zu tun.
Warum wir Orientierungszeitenangebote unterstützen sollten?
- weil unser antiquiertes, reformunwilliges Schulsystem nur abschlussorientiert und wenig anschlussorientiert ist und somit für den Übergang von Schule zu Beruf wenig anzubieten hat
- weil wir dadurch weniger Studien- und Ausbildungsabrecher bekommen werden
- weil viele junge Menschen Alternativen zu klassischen Ausbildungen suchen
- weil viele junge Menschen ihr GAP-Year sinnvoll und ganzheitlich füllen wollen und in dieser Phase finanziell schwach sind
Diese Orientierungszeiten helfen dabei, dass junge Erwachsenen motiviert an Ausbildung oder Studium rangehen, dass sie sich sicherer mit ihrer Wahl sind und mit geringerer Wahrscheinlichkeit abbrechen und dass sie eine höhere Bereitschaft haben, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. All das entlastet den Staat (auch finanziell) und stärkt die Gesellschaft für die Herausforderungen der Zukunft.
Gerade, wenn die Orientierungszeiten auf demokratische sowie politische Bildung und sozialökologische Transformation ausgelegt sind, wie das neue Orientierungsjahr falt*r (https://faltr.de/home) oder Zukunftsjahr im Tempelhof (https://zukunftsjahr-tempelhof.de/).
Das ist ja alles schön und gut, aber warum sollten wir dafür Steuergelder aufwenden? Es kann nicht Aufgabe der Allgemeinheit sein, Selbstfindungshilfen für verwöhnte und von den Eltern falsch oder gar nicht beratenen Kindern zu geben. Dafür tragen alleine die Eltern die Verantwortung!
@Patricia
Soll das heißen, dass ein über Jahrtausende ganz reibungslos und natürlich funktionierender Prozess des Erwachsen werdens heute nur noch "mit professioneller Hilfe" möglich sein soll?
Ja, Social Media ist schlecht. Kann man seinen Kindern schon ganz früh beibringen. Erst mal kein Smartphone, dann ganz behutsam und von den Eltern begleitend herangetastet, dann die Wirkmechanismen verstanden und gut ist.
In die große, weite Welt wird ja niemand gezwungen. Der Installateur sucht seit Jahren händeringend Lehrlinge mit Berufsschulreife. Ein Möglichkeit der Integration und Partizipation: Lehre machen, Geld verdienen, Wohnung suchen, selbst einkaufen und kochen. Wo ist das Problem?
Mag ja sein, aber es geht hier nicht um "Selbstfindung", sondern um eine als sinnvoll empfundene Integration in die Gesellschaft, und um Befähigung zu einer fruchtbaren Partizipation.
Es besteht schon ein krasser Unterschied zwischen Anforderungserfüllung im sozialen Biotop des schulischen Umfelds, und der großen weiten Welt, die nach ganz anderen Regeln funktioniert. Dazu kommen heutzutage noch massive Infiltrationen durch zerstörerische Einflüsse per Social Media. Das kann auf gar keinen Fall eine reine Privatangelegenheit sein!